Einleitung
Die Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlicht werden, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Während traditionell der Peer-Review-Prozess als Voraussetzung für die Veröffentlichung galt, haben sich in den letzten Jahren Preprints als eine wichtige Alternative etabliert. Preprints sind wissenschaftliche Manuskripte, die öffentlich zugänglich gemacht werden, bevor sie den Peer-Review-Prozess durchlaufen haben. Diese Praxis hat viele Vorteile, birgt aber auch Herausforderungen. In diesem Artikel untersuchen wir, wie Preprints die wissenschaftliche Veröffentlichung verändern, welche Chancen sie bieten und welche Risiken sie mit sich bringen.
Was sind Preprints?
Ein Preprint ist eine vorläufige Version einer wissenschaftlichen Arbeit, die vor der formalen Begutachtung (Peer Review) in einem offenen Archiv veröffentlicht wird. Solche Archive, sogenannte Preprint-Server, ermöglichen Forschenden, ihre Ergebnisse schnell mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Öffentlichkeit zu teilen.
Bekannte Preprint-Server sind unter anderem:
- arXiv (Physik, Mathematik, Informatik)
- bioRxiv (Biologie)
- medRxiv (Medizin)
- SSRN (Sozialwissenschaften)
- PsyArXiv (Psychologie)
Diese Plattformen bieten Forschenden eine schnelle und offene Möglichkeit, ihre Arbeit zu veröffentlichen und Feedback zu erhalten, bevor sie in einer Fachzeitschrift erscheint.
Warum werden Preprints immer beliebter?
Preprints erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, da sie einige der traditionellen Hürden des Publikationsprozesses umgehen und neue Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Austausch eröffnen. Zu den Hauptgründen für diese Entwicklung zählen:
1. Schnelle Verbreitung von Forschungsergebnissen
Der klassische Peer-Review-Prozess kann mehrere Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen. Preprints ermöglichen es Forschenden, ihre Ergebnisse sofort mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu teilen. Dies ist besonders in schnelllebigen Forschungsfeldern wie Medizin oder Klimawissenschaften von Vorteil.
2. Erhöhte Sichtbarkeit und Zitierhäufigkeit
Da Preprints offen zugänglich sind, können sie von einer breiteren Leserschaft wahrgenommen und zitiert werden. Untersuchungen zeigen, dass Artikel, die als Preprints veröffentlicht wurden, später häufiger in Fachzeitschriften zitiert werden.
3. Offene Diskussion und Feedback
Preprints ermöglichen eine frühe Rückmeldung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Forschende können Verbesserungsvorschläge erhalten, bevor sie ihre Arbeit bei einer Fachzeitschrift einreichen. Dies kann die Qualität der endgültigen Publikation erheblich verbessern.
4. Förderung der Open-Science-Bewegung
Preprints sind ein wichtiger Bestandteil von Open Science, da sie den freien Zugang zu Wissen fördern. Während viele wissenschaftliche Journale hinter Bezahlschranken stehen, sind Preprints für alle frei zugänglich.
5. Vermeidung von Prioritätskonflikten
In der Wissenschaft ist es wichtig, dass Forschende ihre Ideen und Entdeckungen als Erste dokumentieren. Durch die Veröffentlichung eines Preprints können Wissenschaftler*innen nachweisen, dass sie eine bestimmte Erkenntnis zuerst veröffentlicht haben.
Herausforderungen und Kritik an Preprints
Trotz ihrer Vorteile sind Preprints nicht unumstritten. Es gibt einige Herausforderungen und Risiken, die berücksichtigt werden sollten.
1. Fehlende Qualitätskontrolle durch Peer Review
Da Preprints nicht von Gutachter*innen geprüft wurden, besteht die Gefahr, dass fehlerhafte oder irreführende Ergebnisse veröffentlicht werden. Dies kann besonders in sensiblen Bereichen wie Medizin oder Gesundheitsforschung problematisch sein, wenn unausgereifte Ergebnisse zu Fehlinformationen führen.
2. Mögliche Verbreitung von Fehlinformationen
Da Preprints offen zugänglich sind, können sie von Medien oder der Öffentlichkeit aufgegriffen werden, bevor ihre Ergebnisse ausreichend validiert wurden. Dies kann zu falschen Schlussfolgerungen und Missverständnissen führen, insbesondere wenn Forschungsergebnisse später widerlegt werden.
3. Unsicherheit über die endgültige Veröffentlichung
Einige Fachzeitschriften stehen Preprints skeptisch gegenüber und akzeptieren keine Manuskripte, die bereits als Preprint veröffentlicht wurden. Dies kann zu Unsicherheit bei Forschenden führen, ob ihre Arbeit später noch in einer renommierten Zeitschrift publiziert werden kann.
4. Mangel an Anreizen für Peer-Review-Feedback
Obwohl Preprints eine offene Diskussion ermöglichen, gibt es oft keine formalen Mechanismen für Peer-Review-Kommentare. Forschende investieren oft viel Zeit in klassische Peer Reviews für Fachzeitschriften, während öffentliche Rückmeldungen auf Preprints weniger Anreiz bieten.
5. Bedenken hinsichtlich Prioritätsansprüchen
Während Preprints als Möglichkeit zur Festlegung von Prioritätsansprüchen gesehen werden, gibt es keine universelle Anerkennung dieses Mechanismus durch alle Fachzeitschriften und akademischen Institutionen.
Wie sich der Publikationsprozess durch Preprints verändert
Preprints haben den wissenschaftlichen Publikationsprozess in vielerlei Hinsicht verändert. Einige der wichtigsten Auswirkungen sind:
1. Beschleunigung der Forschungskommunikation
Durch die sofortige Veröffentlichung können Forschende schneller auf die Arbeiten ihrer Kolleg*innen reagieren und neue Forschungsideen entwickeln. Dies hat sich insbesondere während der COVID-19-Pandemie als wertvoll erwiesen, als schnelle Forschungskommunikation entscheidend war.
2. Neue Bewertungskriterien für wissenschaftliche Qualität
Traditionell wurde die Qualität einer Publikation oft anhand des Impact Factors der Zeitschrift gemessen, in der sie veröffentlicht wurde. Durch Preprints gewinnen alternative Metriken an Bedeutung, etwa Downloads, Erwähnungen in sozialen Medien oder alternative Zitiermetriken (Altmetrics).
3. Mehr Transparenz im Begutachtungsprozess
Da Forschende ihre Arbeiten bereits als Preprints veröffentlichen können, bevor sie ein Peer Review durchlaufen, wird der Begutachtungsprozess transparenter. Dies könnte langfristig dazu beitragen, traditionelle Begutachtungssysteme zu reformieren und effizienter zu gestalten.
4. Veränderung der Rolle wissenschaftlicher Journale
Wenn Preprints an Bedeutung gewinnen, könnte sich die Rolle traditioneller wissenschaftlicher Zeitschriften verändern. Anstatt primär neue Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, könnten sich Journale stärker auf die Validierung und Zertifizierung von Forschungsergebnissen konzentrieren.
Fazit
Preprints haben die Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlicht und verbreitet werden, grundlegend verändert. Sie ermöglichen eine schnellere und offenere Kommunikation von Forschungsergebnissen, fördern Transparenz und erhöhen die Sichtbarkeit wissenschaftlicher Arbeiten. Gleichzeitig stellen sie Wissenschaftler*innen vor neue Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf Qualitätskontrolle und die Vermeidung von Fehlinformationen.
Langfristig wird die Bedeutung von Preprints weiter zunehmen, insbesondere im Rahmen der Open-Science-Bewegung. Dennoch bleibt es wichtig, dass Forschende, Journale und Institutionen klare Standards und Mechanismen entwickeln, um die Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu gewährleisten. Der Erfolg von Preprints hängt letztlich davon ab, wie gut sie in bestehende wissenschaftliche Strukturen integriert werden und welche neuen Bewertungsmechanismen sich etablieren. Es ist eine spannende Zeit für die Wissenschaftskommunikation – und Preprints spielen dabei eine zentrale Rolle.